Ein Forschungsteam rund um Dr. Gert Dressel, Dr. Johann Hagenhofer und Dr. Werner Sulzgruber hat das Leben der jüdischen Familien in der Region erforscht. Die Ergebnisse werden 2019 im Museum für Zeitgeschichte in Bad Erlach präsentiert. Der Bote aus der Buckligen Welt bietet im Rahmen einer Serie schon jetzt einen Einblick in die spannenden Ergebnisse.
Fresko mit dem typischen Judenhut in der Höhlenkirche im Burgberg Pitten / Foto: Roman Lechner
Über den „Judensteig“ in die Bucklige Welt
Mit dieser Ausgabe startet unsere neue Serie rund um die jüdische Geschichte in der Buckligen Welt und im Wechselland. Um sich zunächst einen Überblick über die Situation in der gesamten Region zu verschaffen, hat sich Roman Lechner auf Spurensuche bis ins Mittelalter begeben. Und er wurde fündig: anhand alter Wegbezeichnungen und verschiedener literarischer Quellen.
Wenn einer weiß, wie man historische Begebenheiten im Land der 1.000 Hügel aufspürt und dokumentiert, dann ist das Roman Lechner. Er war nicht nur von Anfang an Teil des „Lebensspuren“-Buchteams von Johann Hagenhofer, sondern hat mit „Heimat Bucklige Welt – Wechsel“ auch selbst drei Werke über die historische Entwicklung der Region veröffentlicht. Für das neue Projekt bestand laut Lechner die Herausforderung zu Beginn vor allem darin, das Gesuchte zu finden. „Die Archivarbeit und das Bibliotheksstöbern zur allgemeinen Geschichte der jüdischen Bevölkerung war eher eine Frage der Ausdauer. Ich habe durch meine Bücher über die Region ja schon so manchen Pfeil im Köcher gehabt, der lediglich in dem Berg von Unterlagen wiederzufinden war – was mitunter auch ein Kunststück ist“, so Lechner.
Handelswege
Anhand zahlreicher Quellen lässt sich feststellen, dass zumindest vereinzelt mit Juden Handel betrieben wurde und diese immer wieder in der Region anzutreffen waren. So lässt sich beispielsweise durch Bezeichnungen wie „Judenfurth“ als ehemaliger Flurnamen aufzeigen, dass bereits im Mittelalter jüdische Händler bis nach Katzelsdorf gekommen sind. Auch vor den Toren der Buckligen Welt waren jüdische Familien angesiedelt, und zwar in der kaiserlichen Neustadt, die seit dem hohen Mittelalter bis in die Neuzeit ein erstrangiges Handelsziel war und seit 1230 bis zur Ausweisung 1496 auch als Wohn- und Lebensbereich einer beachtlichen jüdischen Gemeinde diente. Dies wurde nun auch durch Funde im Zuge der Arbeiten an den Kasematten neuerlich nachgewiesen. „Besonders interessant waren sicher die Nord-Süd gerichteten Handelswege über die alte Wechselroute und später über den Semmering nach Judenburg und weiter nach Italien. Solche Verbindungen entsprachen durchaus den Interessen der großräumig tätigen jüdischen Geschäftsleute“, so Lechner.
Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass das ältere Neunkirchen mit seinem Markt bereits früher Juden angezogen hat und schon diese ihren Weg von Ost nach West über die Leitha bei Katzelsdorf genommen haben. In Neunkirchen sind zumindest ab 1343 jüdische Familien namentlich bekannt. Im Spätmittelalter etwa um 1400 geht auch die Existenz einer kleinen Synagoge aus diversen Urkunden hervor.
Judenhut in der Höhlenkirche
Eine seltene Abbildung eines Juden – in diesem Fall des hl. Josef an der Krippe – mit der typischen jüdischen Kopfbedeckung „Judenhut mit Knauf“ findet sich in den nach 1300 entstandenen Wandmalereien der Höhlenkirche (Felsenkapelle) in Pitten. Da die Darstellung die Geburt Jesu zeigt, besteht bei den beteiligten Personen wie Hirten und Joseph, der hier dargestellt ist, kein Zweifel über deren Zugehörigkeit zum jüdischen Volk der Bibel. Diese Kopfbedeckung war also kein „Judenstern“, sondern ein Bestandteil der Alltagskleidung.
Erfahrene Händler
Aus diversen Quellen geht hervor, dass jüdische Händler wohl auch in den ländlichen Gebieten unterwegs waren. Durch den Besuch der Jahrmärkte und Kirchweihtage nahmen sie am wirtschaftlichen Geschehen teil, mussten sich dabei aber an zahlreiche landesfürstliche Gebote und Verbote halten. „Erst die stufenweise Gleichberechtigung und Niederlassungsfreiheit für die Juden nach 1848 hat diese alten Rechtsvorschriften hinfällig gemacht. Damit wurde die bis dahin zwischen Christen und Juden im Alltag gepflogene Geschäftstätigkeit nachhaltig für beide Seiten entkrampft. Auch wenn so manche Vorurteile blieben“, fand Lechner heraus.
Kaiserliche Landverweise
Mit der Ausweisung aus den steirischen Ländern (zu denen damals auch die Bezirke Neunkirchen und Wiener Neustadt zählten), verdichteten sich im westungarischen Bereich ziemlich sicher die jüdischen Bevölkerungsanteile. Kaiser Maximilian I. verband mit der Ausweisung die Erlaubnis zur Ansiedelung am Ostrand des Reiches. Hier fanden die Juden vorübergehend eine Bleibe, die durch die Grafen Esterházy nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen gefördert wurde. Als wandernde Kaufleute durch die Lande zu ziehen war naheliegend und wirtschaftlich dringend erforderlich, denn es mussten nicht nur Schutzgeldzahlungen geleistet, sondern auch der Lebensunterhalt der Familie gesichert werden.
Lechner fand eine Verordnung des Kaisers Leopold I., aus der klar hervorgeht, dass die jüdischen Kaufleute extra zur Kasse gebeten wurden: „… von einen beladenen Wagen, er führe was er wolle, sechs Pfenning, von einem Ochsen wie auch von einer Khue ein Kreützer, von dem kleinen Viech zwenn Pfenning, ein Persohn, so mautthbare Sachen zu Roß führet, oder tragen thuet, ein Kreützer, ein Jud, welcher lähr auf- und abraiset, zween Pfenning, zu Kirchtags Zeitten aber, als vierzehn Täg vor und 14 Täg nach St. Bartholomaei ist man durchgehent die Maut doppelt zu bezahlen schuldig …“
Mautflüchtlinge und „Judenhöfe“
Daher sei es nicht verwunderlich, wenn besonders die Juden versuchten, diese Kosten zu vermeiden, und Wege gingen, die nicht mautbelastet waren. „Besonders die sogenannten Binkeljuden hatten wohl kaum Tragtiere und noch weniger Pferd und Wagen. Für ihre Fortbewegung war ein Waldsteig zu ihrem angestrebten Ziel bei Weitem ausreichend“, so Lechner.
Der „Judensteig“ war so eine mautfreie Route. Er ist ein Verbindungsweg von Kobersdorf zur Burg Landsee. Diese Route war für die Juden auch ein Einfallstor zu ihren Kunden auf den Märkten und Bauernhöfen im Raum Kirchschlag, Wiesmath, Lichtenegg, Edlitz, Aspang und auch Neunkirchen sowie über Schleinz nach Wiener Neustadt.
Unterwegs dienten möglicherweise Bauernhöfe mit dem Hofnamen „Judenbauer“ als Nachtquartiere bzw. Raststationen für die marktfahrenden Juden.
Später nutzten die jüdischen Kaufleute ihre über Generationen gemachten Erfahrungen mit den Bedürfnissen der bäuerlichen Kundschaft durch die Errichtung von Greißlereien in den Ortschaften.