Vor dem möglichen Zentrum des Primärversorgungsnetzwerks Wiesmath: Bgm. Erich Rasner und Marilen Rathmanner / Foto: Rehberger
„Jeder Mensch hat Potenziale, die es zu entdecken gilt“
Seit fast 20 Jahren steht Bundesrätin Sonja Zwazl als Präsidentin an der Spitze der Niederösterreichischen Wirtschaftskammer. Wir sprachen mit ihr über ihre Anfänge in einer männerdominierten Unternehmerrunde, wie sie ihre Anliegen umsetzen konnte und was junge Menschen brauchen, um beruflich erfolgreich zu sein. Und wir gingen der Frage nach, ob Frauen die besseren Unternehmer sind.
Botin: Sie sind nicht nur Unternehmerin und Bundesrätin, sondern seit fast 20 Jahren auch Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich. War das von Anfang an Ihr Ziel, diese Funktion zu erreichen bzw. wie ist Ihnen das gelungen?
Sonja Zwazl: Das ist erst im Laufe der Zeit entstanden. Präsidentin der Wirtschaftskammer, das ist ein Engagement und ein Werkzeug, um Anliegen umzusetzen. Aufgrund meines Lebensweges, als ich mich selbstständig gemacht habe, gab es natürlich einige Fragen. Ich bin zu Veranstaltungen der Wirtschaftskammer gegangen, weil es für mich als Unternehmerin wichtig war. Ich wollte etwas lernen. Damals war es schon so, dass Frauen als Unternehmerinnen Exoten waren. Und Frauen, die sich bei Veranstaltungen auch noch zu Wort gemeldet haben, schon überhaupt. Ich war etwa bei einer Veranstaltung und habe drei Fragen gestellt, da hat man mich dann auf die Art „Sie haben schon mehrmals gefragt“ abkanzeln wollen. Das habe ich mir aber nicht gefallen gelassen. So hat mein Engagement begonnen.
Botin: Von einer Informationsveranstaltung der Kammer bis zur Präsidentin ist aber noch ein weiter Weg. Wie hat sich das ergeben?
Zwazl: Der Kammerobmann in Klosterneuburg hatte damals junge Leute sehr gefördert. So bin ich da „reingerutscht“. Ich freue mich sehr darüber, dass ich die Chance bekommen habe, weil ich sehr viele Dinge umsetzen konnte. Ich habe etwa „Frau in der Wirtschaft“ ins Leben gerufen, weil ich das damals für wichtig gehalten habe.
Botin: Welche besonderen Bedürfnisse haben Frauen in der Wirtschaft?
Zwazl: Einem Lieferanten oder Kunden ist das völlig egal, ob ich Mann oder Frau bin. Als Frau ist es aber schon so, das ist historisch so gewachsen, dass man sich verantwortlich fühlt für die Familie und die Kinder. Dass man von Partnerschaften spricht, wo jeder 50 Prozent der Aufgaben übernimmt ist zwar nett, aber die Realität schaut eben meistens anders aus. Da habe ich gesagt: Redet nicht immer nur darüber, sondern macht was. Ein Beispiel: Man bekommt ein Kind. Dafür haben wir die Betriebshilfe ins Leben gerufen, damit man 8 Wochen vorher und 8 Wochen nachher jeweils 40 Stunden pro Woche eine Kraft kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt. Ich habe das bei meinen Kindern nicht gehabt. Allerdings habe ich als ich meinen jüngsten Sohn bekommen habe, zufällig auf einem Formular gesehen, dass es das für Landwirte gibt. Also habe ich gesagt: Das brauchen wir Selbstständigen auch! So habe ich angefangen, das aufzubauen, mit Gleichgesinnten, und so ist „Frau in der Wirtschaft“ entstanden. Ein anderes Beispiel: Wir haben bei jedem WIFI einen Kindergarten dabei. Weil Ausbildung wichtig ist. Und in der Zwischenzeit wird das Kind gut beaufsichtigt. Am Anfang hat es geheißen: „Ja, lasst sie halt machen, dann machen wir später eben einen Lehrsaal daraus.“ Heute wissen wir, dass das Angebot sehr gut angenommen wird.
Botin: Man hat den Eindruck, dass sie bei ihren Kammer-Kollegen oft als „die Lästige“ galten, die man mal machen lässt, damit sie eine Ruhe gibt. Kommt man nur so weiter als Frau?
Zwazl: Das wichtigste ist, Dinge beim Namen zu nennen, einfach zu sagen, was Sache ist. Das ist auch heute noch so. Wenn jemand mit einem Problem zu mir kommt, sage ich: Erzähl mir die Geschichte, damit ich dein Problem verstehen kann. Ich bin so erzogen worden, dass ich das, was ich mir denke auch ausspreche, dass man dem anderen zuhört und aussprechen lässt und dass man sich für die Ideen, die man hat, nicht genieren muss. Mit dieser Einstellung bekommt man aber auch viel zurück.
Botin: Was gefällt Ihnen an Ihrer Funktion bzw. an Ihrer Arbeit am besten?
Zwazl: Es motiviert, dass man etwas umsetzen kann. Es geht um gegenseitigen Respekt. Als Beispiel nenne ich die Sozialpartnerschaft, die bei uns am Land funktioniert. Nicht weil wir immer einer Meinung sind, sondern weil wir gegenseitig akzeptieren, dass es andere Meinungen gibt. Ich bin schon oft gefragt worden, warum ich mir das antue. Aber ich sehe das anders. Ich tue mir nichts an, sondern ich habe die Chance, etwas einzubringen und dadurch fühle ich mich privilegiert. Ich kann sagen, was mich stört und gleichzeitig etwas daran ändern. Dazu ist es aber auch wichtig, die Bedürfnisse des anderen zu kennen.
Botin: Sie sind zu einer Zeit Wirtschaftskammerpräsidentin geworden, als das Unternehmertum noch sehr stark männlich dominiert war. Wie ist es dazu gekommen?
Zwazl: Dieser Umstand war ein Vorteil für mich. Damals hatten schon noch sehr viele die Einstellung, Frauen gehören an den Herd. Andere haben sich hingegen für diese unqualifizierten Bemerkungen geniert. Und die haben mich unterstützt. Mir hat man auch einiges unterstellt, unter anderem diverse Verhältnisse. Das war nicht immer ganz einfach, ich habe es mir aber nicht gefallen lassen. Einmal bin ich bei einer Sitzung beim Punkt „Allfälliges“ aufgestanden und habe gesagt: „Könnte bitte derjenige aufstehen, mit dem ich noch kein Verhältnis hatte, ich habe den Überblick verloren.“ Dann haben alle gelacht und nachzudenken begonnen. Bei uns im Haus ist das heute kein Thema mehr. Wir sind auch eine Organisation, die sehr viele Frauen in Führungspositionen hat.
Botin: Woran liegt das Ihrer Meinung nach? An Vorbildern wie Ihnen?
Zwazl: Ich glaube schon. Wir haben eine gute Teamarbeit und ich bin ein Mensch, der Dinge anspricht. Auch wenn es nicht angenehm ist. Ehrlichkeit ist wichtig, aber ich will niemanden verletzen. Und das wissen die Leute, mit denen ich arbeite.
Botin: Sind Frauen andere Führungspersönlichkeiten?
Zwazl: Wenn sie dabei Frauen bleiben, ja. Man muss autentisch bleiben. Als Führungskraft hat man auch Schwächen und Fehler. Es geht in einem Team darum, dass jeder die Chance hat, sich einzubringen. Was ich komplett ablehne, ist eine Obrigkeitshörigkeit. Man muss Einstellungen und Entscheidungen manchmal akzeptieren, das heißt aber nicht, dass man sein Hirn und seinen Charakter abgibt. Wenn ich eine Meinung habe, dann habe ich sie.
Botin: Sie haben dauernd mit Firmenchefs zu tun. Gibt es da typisch weibliche und typisch männliche Chefs?
Zwazl: Es geht in erster Linie um die soziale Kompetenz. Dieses hierarchische von früher ist nicht mehr der richtige Führungsstil, das weiß man mittlerweile. Es ist wichtig, die Leute zu motivieren, sie einzubinden und ihnen die Anerkennung zu geben, die sie verdienen. Das macht eine Führungskraft aus. Natürlich auch Ehrlichkeit. Frauen haben hier einen gewissen Vorsprung. Vielleicht ist es schon so, dass Frauen gefühlsbetonter sind. Das ist aber nichts Negatives. Wenn mich etwas getroffen hat, dann will ich das ansprechen und dazu stehen und nicht die Unverwundbare spielen. Ich denke, dass Frauen in dieser Richtung ein bisschen mehr Gefühl haben.
Botin: Thema gläserne Decke: Brauchen wir Ihrer Meinung nach mehr Frauen in Führungspositionen und wie erreicht man dieses Ziel?
Zwazl: Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, Jung und Alt, Männer und Frauen. Ich halte diesen Mix für etwas ganz Wesentliches. Als ich „Frau in der Wirtschaft“ aufgebaut habe, habe ich mich immer gegen Ideen wie „Banken für Frauen“ oder „Frauen-Branchenverzeichnisse“ gewehrt. Das ist der falsche Weg, so wird die Trennung noch größer.
Botin: Wie passt dann der „Girls Day“ der Wirtschaftskammer dazu?
Zwazl: Der „Girls Day“ ist meiner Meinung nach überholt. Es ist eine gute Initiative, aber wir sind schon weiter. Daher gibt es den Begabungskompass, denn viel wichtiger ist es, Talente zu kennen. Es gibt keinen Beruf, der nicht große Chancen eröffnet, wenn genau hier das Potenzial des Einzelnen liegt.
Botin: Wenn die Jugendlichen so weit sind, darüber nachzudenken, welcher Beruf der richtige ist, dann ist das für die Wirtschaft schon ein wichtiger Schritt. Das Problem liegt ja darin, junge Menschen dazu zu bewegen, sich für einen Lehrberuf zu entscheiden. Wie kann man diese Entscheidung erleichtern?
Zwazl: Genau deshalb halte ich den Begabungskompass für so wichtig. Da werden auch die Eltern mit dem Potenzial ihrer Kinder konfrontiert. Es wird ihnen ganz genau erklärt, welche Möglichkeiten und Chancen es gibt. Das ist oft ein Aha-Erlebnis. Da haben wir die Möglichkeit, anzusetzen.
Botin: In der Buckligen Welt gibt es seit einiger Zeit das Projekt „Bildung wächst“ um schon bei den Kleinsten eine neue Lernkultur zu schaffen, damit jedes Kind sein Potenzial entfalten kann. Was halten Sie von dieser Initiative?
Zwazl: Ich finde das Projekt sehr gut, weil es eine Unterstützung ist. Wir wollen kein Kind in eine bestimmte Richtung drängen. Aber die Leistung der Fachkräfte muss in unserer Gesellschaft einen entsprechenden Stellenwert haben. Alles, was uns umgibt, haben Fachkräfte gemacht. Darum ist uns allen der Kontakt mit den Lehrern so wichtig. Weil sie sehr großen Einfluss auf die Kinder haben und ihnen näher bringen, was Wirtschaft bedeutet. Daher freuen wir uns über jeden Kontakt, den wir und die Wirtschaft mit den Kindern und Jugendlichen in der Schule haben.