Leserbrief / Foto: L.Klauser – adobe.stock.com
Ich habe eine fast 40-jährige Berufserfahrung als Volksschullehrerin. Da ich in den letzten Monaten Volksschüler in Deutsch und Mathematik betreue, die nach einem neuen Modell (Schule im Aufbruch) unterrichtet werden, merke ich, dass diese Kinder große Defizite in Lesen, Schreiben und Rechnen haben. Daher habe ich mir einige Gedanken zu dieser Art des Unterrichts gemacht:
Viele Schüler brauchen ab der 2. Klasse Volksschule Nachhilfe!
Die Gründe sind:
- Die Kenntnisse in Schreiben und Lesen sind nicht gefestigt.
- Auf Rechtschreibung und Schreibschrift wird zu wenig Wert gelegt.
- Schon in der 1. Klasse werden die Kinder beim Erarbeiten des Zahlenraumes 10 zu wenig unterstützt. Sie müssen sich Lerninhalte selbstständig erarbeiten und entwickeln daher oft falsche Denkmuster.
- Bei der sogenannten Planarbeit sollen Arbeitsblätter mit teilweise neuem Lehrstoff erledigt werden, wobei die Arbeitsanweisungen nicht von allen Kindern gänzlich erfasst werden.
Für diese Art des Unterrichts müssten die Schüler ein schon sehr reifes und erwachsenes Denken entwickelt haben, um so große Eigenverantwortung übernehmen zu können.
Bei vielen Kindern führt diese Art des Unterrichts zur Verzweiflung, Nervosität und Versagensangst. Eltern haben ähnliche Symptome, denn sie erfahren erst sehr spät, wie es um den Lernfortschritt ihres Kindes wirklich steht!
In den letzten Jahren macht sich in einigen Schulen ein neues, wie die zuständigen Lehrer behaupten, zur Selbstständigkeit führendes Unterrichtssystem breit. Doch: Alles, was neu ist, muss nicht gut sein!
Diese Art des Unterrichtens wird angepriesen als:
- zum Lernen motivierend (alles, was neu ist, motiviert zunächst)
- differenzierend (sehr gut begabte Kinder erledigen ihre Arbeiten – die sogenannten Pläne – in kurzer Zeit und „helfen“ dann weniger Begabten beim Lernen. In Wirklichkeit warten sie eine Woche auf ihren neuen Plan und stellen z. B. Plakate her … Sie haben praktisch einige Tage „Leerlauf“ und Pause, was für diese Kinder auch nicht angenehm ist.
- zur Selbstständigkeit führend – das mag für einige Kinder zutreffen, doch die meisten Schüler brauchen Führung und Struktur! Die Kinder (und deren Eltern) werden eigentlich alleingelassen. Eltern wissen nicht, was ihr Kind in der Schule arbeitet. Es kommen so gut wie keine Arbeiten nach Hause. Eltern wird sogar nicht gestattet, in die Hefte ihrer Kinder Einsicht zu nehmen. Die Schüler sind also in der Schule und zu Hause auf sich selbst gestellt – so viel zur sogenannten Selbstständigkeit! Lehrer übernehmen vorwiegend eine Beobachterrolle!
Doch: Haben Kinder nicht Recht auf Unterricht und zu Hause Recht auf Hilfe, wenn diese nötig ist? In der Schule werden Pläne abgearbeitet. Den Kindern wird ein Arbeitsblatt nach dem anderen vorgelegt, bzw. in den Lehrbüchern werden Seiten und Nummern angegeben, die innerhalb einer Woche zu erledigen sind.
Diese Fragen entstehen:
- Erfüllen die zuständigen Lehrer ihren Bildungsauftrag?
- Ist aktives Unterrichten für sie vielleicht zu anstrengend?
Immer mehr Eltern sind verzweifelt. Doch sie haben nicht den Mut, ihre Stimme gegen dieses System zu erheben. Sie werden beschwichtigt und mit der positiven Auswirkung dieser Unterrichtsart ruhig gestellt. Sie haben auch Angst, sich dagegen aufzulehnen. Es könnte ja zum Nachteil ihres Kindes führen!
Die Lehrer dieses Systems fühlen sich als „Gurus“. Sie stellen sich über alle Kolleginnen und Kollegen, die „normal“ und mit viel Einsatz unterrichten. Sie belächeln diese sogar. Mit allen Mitteln (siehe Medien) verbreiten sie die angeblich so positiven Auswirkungen ihres Unterrichtes.
Doch: Gibt es überhaupt Grund dazu?
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