Seltener Einblick in den legendären „Müller-Saal“. Foto: Steinbichler
Es ist ein Phänomen, das unser Fotograf Markus Steinbichler nur allzu gut kennt: „Man kommt an manchen Orten und Gebäuden hunderte Male vorbei – ohne auch nur zu ahnen, welche Schätze im Inneren verborgen liegen.“ So war es auch bei der Einladung, die er von Robert Riegler aus Krumbach bekam. Zu seinem „Wohn-, Büro- und Geschäftszentrum“ im Ort gehört auch der etwas versteckt liegende Festsaal eines ehemaligen Gasthauses. Der Raum steckt voller schöner Erinnerungen und Geschichten – ein Grund mehr, warum er unbedingt erhalten bleiben und wiederbelebt werden sollte.
Das große gelbe Gebäude in Krumbach unmittelbar an der B55 ist nicht zu übersehen: Neben der eigenen Firma Elektro Riegler beheimatet das „WBG Krumbach“ von Robert und Josefa Riegler auch noch zahlreiche weitere Betriebe. Begonnen hat alles jedoch in der Garage im eigenen Wohnhaus, wo 1988 die Elektrofirma gegründet wurde. Der Betrieb wuchs stetig an, und schon bald musste ein eigenes Firmengebäude mit Geschäftslokal her. Im Jahr 1999 wurde dafür das ehemalige „Gasthaus Müller“ in Krumbach übernommen und adaptiert. Wenig später, im Jahr 2002, wurden auch die ehemals zugehörige Fleischerei und der Festsaal angekauft und die gesamte Liegenschaft zum „Wohn-, Büro- und Geschäftszentrum“ um- und ausgebaut.
Ein Gasthaussaal schreibt Lokalgeschichte
Das ursprüngliche Gasthaus Müller wurde bereits 1868 erbaut; die historische Fassade des alten Hauptgebäudes mit entsprechender Inschrift am Giebel erinnert noch heute daran. Es war ein für die damalige Zeit typischer Betrieb: Die Gaststube war für Reisende und Arbeitende ein Ort der Stärkung in Form von Speis und Trank. Darüber hinaus war das Wirtshaus in früheren Zeiten DAS „soziale Medium“ schlechthin. Als die Gaststube für große Festgesellschaften zu klein geworden war, wurde 1949 über dem Seitentrakt mit der Fleischerei und Garagen ein stattlicher heller Festsaal mit großen, elegant geschwungenen Fenstern und einer Bühne errichtet.
Hört man sich im Ort ein wenig um, so ist der in Krumbach gemeinhin als „Müller-Saal“ bekannte Raum von vielen Geschichten und Legenden umwoben. Eröffnet wurde der neue Festsaal im Fasching 1950, wenig später spielten bei einer Veranstaltung die legendären „Kernbuam“ aus der Steiermark auf und hunderte (!) Festgäste tanzten so wild im Saal, dass sich der Holzboden gefährlich bog. Die Lösung: Die schnell herbeigerufenen Krumbacher Zimmermänner pölzten die Holzdecke über der Fleischerei einfach von unten ab, damit oben weitergefeiert werden konnte. Auch von einer großen Gerichtsverhandlung nach dem Ende der russischen Besatzung mit Hunderten von Zeugen wird berichtet – es dürfte dabei um falsche Angaben bei Beschlagnahmungen durch die Besatzer gegangen sein. Legendär waren auch die Krumbacher Neujahrskonzerte im Saal und die Maskenbälle, die jedes Jahr an die tausend Besucher anlockten. Das Gedränge auf der engen Stiege vom Gasthaus zum Saal und das Geschiebe beim Tanzen ist manchen noch in „guter“ Erinnerung.
Viel Raum für neue Nutzungen und Ideen
Neben diesen Großveranstaltungen bot der Saal das ganze Jahr über Platz für Familienfeiern. Noch heute melden sich viele ältere Menschen. Sie möchten noch ein letztes Mal den Saal sehen, an den sie viele Erinnerungen knüpfen. Unvergessen bleibt für Riegler ein älterer Herr, der im Saal stehend mit Tränen in den Augen berichtete: „Hier habe ich meine Frau kennengelernt, dort haben wir geheiratet. Heute musste ich sie begraben…“
Das Gasthaus war bis 1969/70 in Betrieb. Der Saal wurde nach dem Ankauf von Robert Riegler auf eigene Kosten in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt – gerade weil ihm die persönlichen Geschichten, die mit diesem Ort verbunden sind, sehr nahegehen.
Von 2011 bis 2017 war der Modemacher Lothar Daniel Bechtold mit seiner Nähwerkstatt im „Müller-Saal“ eingemietet. Seither wird er nur noch sporadisch genutzt, zuletzt von einem Restaurator als Schauraum für historische Möbel. Doch wegen seiner großen Bedeutung für Krumbach und darüber hinaus möchte Riegler den Saal unbedingt in seinem historischen Ambiente erhalten und wieder vermieten. Er hofft dabei auf neue Nutzer, die die Architektur und Geschichte des Raumes schätzen und ihn mit neuem Leben erfüllen. „Findet sich niemand, muss ich den Saal wohl oder übel in weitere Wohnungen umbauen“, so der Unternehmer wirtschaftlich denkend, „auch wenn mir dabei das Herz bluten würde!“
„Verloren in Raum und Zeit“
ab 13. November im Buchhandel
Markus Steinbichlers Buch „Verloren in Raum und Zeit“ mit rund 20 Lost Places und vielen beeindruckenden neuen Bildern „vergessener Orte“ erscheint am 13. November 2020 im Verlag Scherz-Kogelbauer und ist ab diesem Tag im gutsortierten
Buchhandel erhältlich.
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Fotos: Steinbichler