Foto: Egerer
In unserer aktuellen Serie geht es wieder einmal um eine Anekdote, diesmal aus der Kindheit von Franz Schlögel aus Scheiblingkirchen, der im Jahre 1958 noch in Stübegg lebte. Eine unglaubliche Geschichte, deren Nachahmung heute nicht mehr sehr empfehlenswert wäre und die damals aus der Not heraus entstanden ist.
„In meiner Kindheit gehörte es zu einer liebgewonnenen Einrichtung, einmal im Jahr meine Großeltern in Schäffern und meine Verwandten in Wiesenhöf bei Pinggau zu besuchen“, erinnert sich der heutige Pensionist.
Autos hatten damals noch die wenigsten, das Motorrad des Vaters hatten die Russen konfisziert. Also war zu Fuß gehen oder wandern, wie wir heute sagen würden, angesagt. Am bequemsten war Wiesenhöf mit der Aspangbahn, damals noch mit Dampf betrieben, erreichbar.
„Einmal waren meine Mutter und ich alleine unterwegs, über den kleinen Hartberg strebten wir von unserem Haus der Bahnhaltestelle Ausschlag-Zöbern zu“, erzählt Schlögel. „Es war nur mehr ein kurzes Stück Fußweg zu bewältigen, da ertönte schon der Pfiff der Dampflok und der Zug setzte sich ohne uns in Bewegung“, kann Schlögel heute darüber lachen.
Guter Rat teuer
Auf den nächsten Zug zu warten, hätte zu lange gedauert. So schluckte die Mutter ihren Ärger hinunter und meinte bestimmt: „Da bleibt uns nur der Weg durch den Tunnel!“ Gemeint war der große Hartbergtunnel, der immerhin fast zweieinhalb Kilometer lang ist.
„Mit einem mulmigen Gefühl im Magen machten wir uns an die Durchquerung des Eisenbahntunnels. Meine Mutter beruhigte mich und meinte, ich brauche mich nicht zu fürchten, sie sei eh bei mir.“
Zum Glück gab es im Tunnel in gewissen Abständen Nischen, wo man sich beim Nähern eines Zuges verbergen und somit ausweichen konnte. „Immer wieder lauschte ich auf das Geräusch eines näher kommenden Zuges“, so Schlögel.
Zum Glück fuhren in den Sechzigerjahren noch nicht so viele und schnelle Züge wie heute. Trotzdem erschien dem kleinen Franz die Strecke durch den Tunnel wie eine Ewigkeit, einmal mussten sie sogar in eine Nische flüchten, doch zum Glück erreichten Mutter und Sohn heil die andere Seite des Tunnels und der Spuk war vorbei. Bald darauf kamen die beiden wohlbehalten beim Haus der Verwandten in Wiesenhöf an.
„Man kann sich vorstellen, wie meine Geschwister ungläubig staunten, als ich ihnen, wieder daheim, von unserem abenteuerlichen Marsch berichtete“, so Schlögel.
Eine Bahnfahrt in den Fünfzigern
Wie sich die Technik doch gewandelt hat. „Ich besuchte in den Fünfzigerjahren mit meinem Bruder das Knabenseminar in Hollabrunn. Da hieß es zuerst einmal die Koffer auf ein Leiterwagerl laden und dann marschierte unsere Mutter mit uns eine Stunde von Stübegg nach Aspang zum Bahnhof. Von hier ging es zum Südbahnhof, mit der Straßenbahn weiter zum Nordwestbahnhof und dann nach Hollabrunn. Insgesamt waren wir sechs Stunden bis zur Schule unterwegs“, meint Schlögel abschließend. „Heute braucht man dafür gute zwei Stunden.“
Fotos: Franz Schlögel, Andreas Heissenberger