Reinhard Baumgartner bei einem der vielen Spatenstiche der letzten Zeit: In vielen Gemeinden Niederösterreichs, darunter auch in der Buckligen Welt und im Wechselland, wurden in den letzten Monaten Glasfaser-Projekte der nöGIG umgesetzt / Foto: Rainer Mirau
Die größte Infrastruktur-Offensive der letzten Jahrzehnte hat auch in der Buckligen Welt und im Wechselland ihre Spuren hinterlassen. In vielen Gemeinden wurden die Glasfaser-Kabel bereits verlegt und das schnelle Breitband-Internet ist im Einsatz, in anderen wird noch gebaggert. Wo stehen wir also mit dem Breitband-Ausbau, was bringt es den Menschen in der Region in Zukunft und wie geht es mit jenen Gemeinden bzw. Haushalten weiter, die noch nicht am Netz hängen? Der „Bote“ sprach mit Reinhard Baumgartner, Chef der NÖ Glasfaserinfrastruktur-Gesellschaft (nöGIG Service GmbH), über das Großprojekt.
Bote: Wo stehen wir aktuell mit dem Infrastruktur-Großprojekt Glasfaser in der Region?
nöGIG-Geschäftsführer Reinhard Baumgartner: Dazu macht es Sinn, ein wenig zurückzublicken, um zu verstehen, wie es zu diesem Projekt gekommen ist. Wenn man sich anschaut, wo Österreich in Sachen Versorgung mit Glasfaser-Internet steht, dann ist das ziemlich ernüchternd. Im Ländervergleich der OSZE-Staaten verteidigen wir einen der letzten Plätze weltweit. Auch in Europa, unter den EU-Ländern, sind wir Schlusslicht.
Bote: Woran liegt das?
Baumgartner: Es liegt an den unterschiedlichen Geschwindigkeiten, wie die Vorgänger-Technologien ausgebaut wurden. Und am Mobilfunk. Österreich ist eines der Länder, das am besten mit Mobilfunktechnologie ausgebaut ist. Da gibt es also eine gewisse Alternative. Andere Länder sind in die neueren Technologien viel früher eingestiegen.
Bote: Wann und warum kam dann die nöGIG ins Spiel?
Baumgartner: Ende 2014 wurde die nöGIG gegründet. Das Interesse an Investitionen in neue Technologien seitens der markttätigen Unternehmen war sehr überschaubar. Gleichzeitig hat man gesehen, dass genau diese Technologien immer wichtiger wurden. Während die Bereiche Landwirtschaft oder Technologie abnehmend sind, wachsen wissensbasierte Dienstleistungen immer stärker. Damals wurde daher sehr vorausschauend gehandelt, weil dieser Wandel gleichzeitig eine riesige Chance wohl für die kommenden 100 Jahre und die nächsten Generationen bedeutet.
Bote: Als die nöGIG Ende 2014 gegründet wurde, war noch keine Rede von Pandemie und dem Trend zu Homeoffice oder Homeschooling. Hat das die Entwicklung beschleunigt?
Baumgartner: Das Land NÖ hat schon davor beschlossen: Wir müssen da etwas ändern. Nach vielen Gesprächen mit der Industrie und der daraus gewonnenen Erkenntnis, dass aus dieser Richtung nichts passieren wird, hat man sich entschlossen, es selbst in die Hand zu nehmen. Dazu wurde ab dem Jahr 2015 in Pilotregionen, in sehr peripheren Gebieten, geschaut, wie das Modell funktioniert bzw. welche Kosten entstehen. Wir sagen dazu Breitbandmodell NÖ, aber im Wesentlichen ist es das, was auch die nordischen Länder machen: Es gibt jemanden, der die Infrastruktur baut, einen Betreiber und viele Dienstanbieter. In unserem Fall errichtet das Land NÖ die Infrastruktur mit einem Finanzierungspartner. Es gibt einen aktiven Netzbetreiber und rund 20 Anbieter, Tendenz steigend. Durch dieses offene Netz gibt es in Niederösterreich die größte Auswahl an Dienste-Anbietern für den Kunden.
Bote: Wie ging es nach dieser ersten Pilotphase mit den Planungen weiter?
Baumgartner: Nachdem man wusste, wie hoch die Kosten sind, und nachdem klar war, dass das Modell gut funktioniert, hat man mit der Planung für den ländlichen Raum begonnen. Am Ende entstand ein detaillierter Netzplan, in dem jedes Gebäude, jeder Betrieb und jedes Haus erfasst sind. Somit weiß man genau, welche Maßnahmen in welcher Gemeinde nötig sind und was dieser Ausbau kostet.
Bote: Und obwohl man das wusste, war die Bucklige Welt mit ihren vielen Streu- und Einzellagen eine der ersten Ausbau-Regionen?
Baumgartner: Das Ziel war, mit dem Ausbau möglichst weit in den ländlichen Bereich zu kommen. Es ist klar, dass die Anschlusskosten für Einzellagen weit höher sind. Das ist bei allen Infrastruktur-Themen so. Die Baukosten werden aber gefördert, vor allem durch die Breitband-Milliarde des Bundes, die 2015 gestartet wurde. Die nöGIG wurde entsprechend aufgestellt, um sich diese Förderung bestmöglich abzuholen. Bis heute ist die nöGIG größte Einreicherin bzw. Abholerin der Mittel in Niederösterreich. Seitens der EU werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Wir sprechen von Fördersätzen bis zu 75 Prozent – nicht rückzahlbar. Das heißt: Ein Viertel muss man finanzieren, bis zu drei Viertel werden durch Förderungen abgedeckt. Die Bucklige Welt ist deshalb in die Position gekommen, eines der ersten Ausbau-Gebiete zu sein, weil hier die Trinkwasser-Zukunft umgesetzt wurde. Diese hat die Kerngemeinden der Buckligen Welt miteinander verbunden, was zugleich die Gelegenheit war, auch bei der Glasfaser einen großen Schritt weiterzukommen.
Bote: Unter dem Motto „Der Bagger ist schon da, legen wir zum Wasser gleich die Glasfaser mit hinein“?
Baumgartner: Genau so ist es. Die Gemeinden haben das vorfinanziert, damit Glasfaser-Leerrohre mit der Wasserleitung mitverlegt werden, und das war der Ausgangspunkt für dieses Projekt. Auf der einen Seite eine gute Fördersituation, auf der anderen Seite das Projekt Trinkwasser-Zukunft. Der Ausbau ist dennoch ein teurer, aber ich denke es bringt einen großen Mehrwert für die Gemeinden der Region.
Bote: Es sind weit mehr Gemeinden am Glasfaser-Ausbau beteiligt als an der Trinkwasser-Zukunft. Wie wurde das festgelegt, welche Gemeinden nun zum Ausbaugebiet gehören?
Baumgartner: Durch die Planung und die Förderkarten werden die möglichen Ausbaugebiete schnell klar und es ist ersichtlich, wo eine Finanzierung bzw. Refinanzierung möglich ist. Es hängt sehr stark an dieser Förderkarte und an den Ausbaukosten. Überall dort, wo der Ausbau gestartet wird, interessieren sich immer mehr Gemeinden für das Thema. Das Land bietet über die Breitbandkoordination eine neutrale Beratung für Gemeinden an. Dann analysieren wir die Situation und entscheiden, wie der Ausbau erfolgen kann. Jede Gemeinde hat eine andere Situation, je nach Ausbaukosten, bereits vorhandenem Angebot und Anbietern. Die Gemeinden gehen ganz unterschiedlich an das Thema heran. Als Beispiel: Raach am Hochgebirge war eine der ersten Gemeinden, die schon im Jahr 2014 Glasfaser-Leerverrohrungen bei Bautätigkeiten mitverlegt hat. Dort hat man durch den Bau der Ersatzwasserleitung aufgrund des Semmering-Basistunnels die Chance genutzt. Eine sehr weitsichtige Vorgehensweise, wie wir heute wissen.
Bote: Stichwort weitsichtig: Wie viel Aufklärungsarbeit war für die Umsetzung dieses Projekts notwendig?
Baumgartner: Ganz unterschiedlich. In jenen Gemeinden, wo die Istversorgung schon schlecht war, brauchte es keine Überzeugungsarbeit. In der Praxis ist es aber so: Wir denken nicht in Gemeinden, sondern in Netzen und Regionen. Das funktioniert immer dann – und die Bucklige Welt ist dafür ein gutes Beispiel –, wenn die Gemeinden gut zusammenarbeiten. All die positiven Effekte wie Stabilität oder Ausfallsicherheit entstehen erst durch ein großes Netz.
Bote: Wo stehen wir jetzt mit dieser Ausbauphase in der Buckligen Welt und im Wechselland?
Baumgartner: Der Großteil des Ausbaus ist im letzten Jahr erfolgt. In der Buckligen Welt haben wir aktuell 17 Gemeinden, davon sind zehn schon in Betrieb. Sieben Gemeinden sind aktuell in der Umsetzung. Dafür wurden rund 43 Millionen Euro investiert. Im Wechselland ist in Raach, Kirchberg, Trattenbach und Otterthal das Netz entstanden und es wurden sieben Millionen Euro investiert. In beiden Regionen wird heuer fertig gebaut.
Bote: Wie geht es nun mit dem Ausbau weiter?
Baumgartner: Trotz der schwierigen Topografie haben wir bereits einen Ausbaugrad von rund 90 Prozent. Wir sind sehr weit gekommen mit dem Glasfaser-Netz im ländlichen Raum. Für den weiteren Ausbau nutzt man günstige Gelegenheiten, etwa wenn andere Bauarbeiten anstehen. Was man unbedingt für den weiteren Ausbau braucht, ist Förderung. Derzeit ist die zweite Breitband-Milliarde im Laufen. Wir erwarten die nächste Möglichkeit einzureichen heuer im November. Das Land NÖ hat zusätzlich 100 Millionen Euro aus dem Wirtschafts- und Tourismusfonds als Top-up-Förderung bereitgestellt. Diese kann aber nur von Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden abgerufen werden. Mit diesen Mitteln kommt man auf eine Förderquote von maximal 90 Prozent – sprich: neun von zehn Euro sind nicht rückzahlbar. Und damit kommt man auf eine Förderung, die auch einen Ausbau in sehr peripheren Gebieten ermöglicht.
Bote: In vielen Haushalten läuft Glasfaser-Internet bereits, ohne dass die Nutzer einen Unterschied bemerken – wenn man keine großen Datenmengen braucht. Wie erklärt man die Chancen dieser Technologie?
Baumgartner: Der Bandbreitenbedarf verdoppelt sich alle zwei Jahre – das gilt seit Jahrzehnten und hält nach wie vor an. Weniger technisch ausgedrückt: Glasfaser ist es dann, wenn es einfach funktioniert. Wenn man sich keine Gedanken über Technologien und Bandbreiten machen muss. Wie beim Strom: Ich stecke an und nutze es.
Bote: Welche Chancen ergeben sich durch diese Bandbreiten in Zukunft? Wie wird sich das Arbeiten dadurch verändern?
Baumgartner: Die Anwendungen kommen dann, wenn die Netze da sind. Die derzeitigen Treiber sind datenintensive Anwendungen, alles rund um Videos oder etwa zeitversetztes Fernsehen – da werden große Bandbreiten benötigt. Was man aber in anderen Ländern sieht, sind Beispiele wie Tele-Medizin, aber auch viele EPUs oder KMUs haben großes Interesse an leistbarer Glasfaser-Versorgung, um sich anzusiedeln. Als Beispiel: Unternehmen sind auf der Suche nach günstigen Quadratmeter-Preisen. Im Waldviertel konnte nach dem Ausbau der Standort eines Rechenzentrums gehalten werden. Das wäre jetzt auch in der Buckligen Welt möglich, die Kapazitäten sind jedenfalls da. Glasfaser ist nicht der Retter für alles, aber ein positiver Faktor für die Standortattraktivität von Gemeinden.
Bote: Was sind die größten Chancen durch den Ausbau des Glasfaser-Netzes?
Baumgartner: Das betrifft die gesamte Palette: Chance für Ansiedlungen, für Unternehmensgründungen und Teile der Arbeitswelt wandert in das Web. Der Ausbau war ein Anstoß für eine Entwicklung, die wir uns noch nicht vorstellen können. Viele Dienste kennen wir bereits, viele kennen wir noch nicht. Daher ist es wichtig, dass man zunächst einmal baut. Dann kann alles weitere entstehen.