Die Waldvilla aus dem Jahr 1872 an der Aspanger Straße / Fotos: Markus Steinbichler (9)

Vor einem Jahr holte unser Fotograf Markus Steinbichler die prachtvollen Sommerfrische-Villen in Pitten vor die Linse. Kurz darauf leistete eine Leserin unserem Aufruf nach spannenden historischen Orten Folge: Architektin Milena Holzbauer begibt sich in ihrer Diplomarbeit auf die Spuren der „Hamburgerhäuser“ – Wohnhäuser, die der Papierfabrikankt Wilhelm Hamburger um 1900 für seine Mitarbeiter rund um den Pittener Schlossberg errichten ließ.

Architektin Milena Holzbauer hat ihre Diplomarbeit im Jahr 2015 am Institut für Kunstgeschichte an der TU Wien verfasst, und zwar unter dem Titel: „Die baugeschichtliche Aufarbeitung und Dokumentation der für die Mitarbeiter der Papierfabrik Hamburger errichteten Häuser in Pitten, um 1900“. In der Einleitung der Arbeit hält sie ihre ganz persönliche Motivation für die Arbeit fest: „Ich selbst bin ein einem der sogenannten ‚Hamburgerhäuser“ aufgewachsen und war bereits in jungen Jahren von den Erzählungen in Bezug auf die Entstehungsgeschichte der Häuser fasziniert. Die Neugierde, herauszufinden, welche Häuser von Wilhelm Hamburger, dem Gründer der gleichnamigen Papierfabrik in Pitten, erbaut wurden und welche Beweggründe er dafür hatte, bewegten mich zur Verfassung dieser Arbeit.“ Holzbauer begab sich auf eine akribische Recherche nach den Gebäuden, stöberte in Grundbuchsakten, Bauplänen und im Archiv der Firma Hamburger. Nach und nach konnten die einzelnen Häuser ausgeforscht und von der angehenden Architektin dokumentiert werden. Insgesamt 14 Gebäude wurden so eingehend untersucht. 

Die Papierindustrie in Pitten

Zunächst lohnt es sich, die Geschichte der Papierindustrie in Pitten näher zu betrachten – denn diese hat eine lange Vergangenheit. Vor knapp 200 Jahren, 1827, wurde eine Mühle am Fuße des Schlossbergs in die erste Papierfabrik Pittens umgewandelt – damals wurde das Papier noch handgeschöpft. Im Jahr 1858 wurde die Aktiengesellschaft „k.k. priv. Pittener Papierfabrik“ gegründet. Wenige Jahre zuvor, 1849, kam ein deutscher Ingenieur namens Wilhelm Hamburger in den Besitz dieser Fabrik. 1853 machte er sich an den Bau einer Hadernmühle (Hadern sind Stoffreste, die früher zur Papierherstellung zerkleinert wurden) an der Pitten, oberhalb der Papierfabrik. Zehn Jahre später begann mit dem Kauf einer Papiermaschine die Produktion von Papier auch an diesem Standort. In den folgenden Jahrzehnten wurde der Betrieb laufend ausgebaut, weitere Papiermaschinen erworben und neue Produktionshallen errichtet. 

Wilhelm Hamburger schied 1912, also nach 59 Jahren, aus dem Unternehmen aus. Es ist allerdings bis heute in Familienbesitz und die Unternehmen der heutigen „Hamburger Containerboard“ zählen zu den führenden Herstellern von Wellpapperohpapieren in Europa. Über drei Millionen Tonnen Papier werden jährlich an zehn Standorten ausschließlich aus Altpapier produziert. Doch nicht nur die Betriebsanlagen wurden von Wilhelm Hamburger laufend ausgebaut, auch andere Spuren seiner Schaffenskraft hat er in Pitten hinterlassen: Wohnhäuser für eigene Zwecke, vor allem aber für seine Mitarbeiter, alle davon in bewährter Zusammenarbeit mit dem Baumeister Anton Trampitsch errichtet. Er war mit Wilhelm Hamburger verschwägert und von 1876 bis 1889 auch Bürgermeister von Pitten. 

Villen und Wohnungen

1872 erfolgte der Bau der sogenannten Waldvilla durch Hamburgers Gattin Therese. Das stattliche Wohnhaus im sogenannten Heimatstil (so wie auch viele Semmering-Villen) wurde vermutlich zu Zwecken der Sommerfrische errichtet. Vier Jahre später wurde mit dem Bau von mehreren Häusern im Pittener Ortsgebiet am Fuße des Schlossbergs begonnen. Diese Häuser waren für Mitarbeiter der Papierfabrik gedacht, die möglichst in der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz wohnen sollten. Aber auch kleine Villen wurden errichtet, die von Wohlhabenderen für die Sommerfrische angemietet werden konnten. Zahlreiche Häuser an der Bergstraße und an der W.-Hamburger-Gasse wurden auf diese Weise vom Fabrikanten errichtet, wie Milena Holzbauer in ihrer Arbeit herausgefunden hat. Viele Häuser wurden umgebaut, eines 1987 abgerissen, vieles ist heute aber noch sichtbar.

Fachwerkbauten und Laubsägearchitektur 

Markus Steinbichler hat sich auf den Spuren von Holzbauers Diplomarbeit auf die Suche nach den „Hamburgerhäusern“ gemacht. Die imposante Waldvilla steht heute noch an der Aspanger Straße, an der Abzweigung nach Leiding. Auch das Nebenhaus gegenüber – ein kompakter Fachwerkbau – ist noch im ursprünglichen Zustand erhalten. Ein Stück weiter, ebenfalls an der Aspanger Straße in Schiltern, befinden sich die beiden letzten von Wilhelm Hamburger 1912 errichteten Arbeiterwohnhäuser. Bis heute ist in der Giebelornamentik im Verputz das Monogramm aus den Buchstaben W und H zu erkennen – Hamburgers „Kennzeichen“. Dieses ist auch in verspielten Holzgiebeln der Sommerfrischehäuser am Schlossberg zu sehen – die sogenannte „Laubsägearchitektur“ der damaligen Zeit zeigt sich in zarten, verschnörkelten Holzornamenten. 

Die Formensprache der kleinen Häuser folgt teils dem damaligen Stil der großen Semmering-Villen, oftmals mit Fachwerk-Fassaden und Veranden. Einige Häuser weisen auch charakteristische Treppengiebel auf – möglicherweise eine Referenz an Hamburgers deutsche Heimat am Bodensee. All diese Elemente wie auch die Bauweise der Gebäude hat Milena Holzbauer in ihrer Diplomarbeit aufgearbeitet. Gemeinsam mit einem historischen Abriss der Entwicklung Pittens ist ihr eine spannende Arbeit gelungen, die auch für Nicht-Architekten sehr interessant und lesenswert ist. Sie ist auf der Website der TU Wien zu finden.

Aufruf: 
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