Markus Reisner mit seinem im Kral-Verlag erschienenen Buch Foto: Schmidt
Markus Reisner ist als Historiker in der Region schon lange kein Unbekannter mehr. Jetzt erschien sein neues Buch „Die Schlacht um Wien 1945“.
Über das Jahr 1945 wurde schon viel geschrieben. Aus österreichischer Sicht sind die Geschehnisse dokumentiert, aus sowjetischer Sicht waren sie es bisher nicht. Historiker Markus Reisner aus Klingfurth nahm das zum Anlass, eine umfangreiche Recherche durchzuführen. Er erhielt nämlich die Möglichkeit, im Zentralarchiv der russischen Streitkräfte in Podolsk (bei Moskau), sowjetische Originaldokumente einzusehen und auszuwerten. Im Foto- und Filmarchiv der russischen Armee erhielt er außerdem Zugriff auf bisher noch nie veröffentlichtes Bildmaterial.
Recherche in Moskau
Diese Archive waren bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Bis zum Fall der Sowjetunion vor 30 Jahren waren sie überhaupt gesperrt. Danach gab es eine kurze Zeit der Öffnung, zuletzt wurde der Zugang aber nur sehr eingeschränkt gestattet.
Reisner war in den letzten Jahren daher einige Male selbst in der russischen Hauptstadt. „Es waren tausende Seiten an Material“, schildert der Oberst des Generalstabes in der Wiener Neustädter Militärakademie.
Er selbst spreche Russisch, „zumindest genug, um zu wissen, wonach ich suchen musste“, schmunzelt er im Gespräch mit dem „Boten“. Für die professionelle Übersetzung der relevanten Texte arbeitete er mit dem Sprachinstitut des Bundesheeres sowie dem linguistischen Institut in Moskau zusammen. Aus der Analyse sowjetischer Kriegstagebücher und Karten ist es dem Historiker gelungen, eine historische Lücke zu schließen. Konkret beleuchtet er in seinem 653 Seiten starken Buch mit dem Titel „Die Schlacht um Wien“ die sogenannte „Wiener Operation“, die am 16. März 1945 begann und den Vormarsch der Sowjet-Truppen auf Wien am Ende des Zweiten Weltkrieges beschreibt.
Neue Sichtweise
Besonders an der neuen Publikation ist aber auch noch ein weiterer Aspekt: „Das Buch beleuchtet die Geschehnisse erstmals aus sowjetischer Sicht. Viele Dinge, die man aus Erzählungen von Zeitzeugen kennt, werden jetzt erst verständlich“, erklärt der Autor.
Dabei nähert er sich auch behutsam dem Thema der narrativen Gewalt, lässt die Russen selbst die Ereignisse in den letzten Monaten des Krieges erzählen. „Es sind rund 40 Zeitzeugenberichte von Russen, die schildern, was sie erlebt haben.“ Einige der Geschichten würden sich mit Erfahrungsberichten österreichischer Zeitzeugen decken. „Man sieht, dass sie eigentlich dieselben Gedanken wie die Menschen hier hatten“, erklärt Reisner, der betont: „Der bisher unbekannte russische Soldat bekommt jetzt erstmals ein Gesicht.“
In Historikerkreisen wird Reisners neuestes Werk ebenso gut aufgenommen wie seine älteren Werke „Bomben auf Wiener Neustadt“ und „Unter Rommels Kommando“. Die einwandfreie historische Aufarbeitung und der unverfälschte Blick durch die Originaldokumente machen dieses Werk zu einem guten Nachschlagewerk, das 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die österreichische Geschichtsschreibung komplettiert. „Es gibt aber noch viele mögliche Aspekte“, denkt Reisner bereits an mögliche weitere Forschungsprojekte.