Von links: Johann Hagenhofer, Bürgermeister Hans Rädler, Danielle Spera, Gert Dressel und Werner Sulzgruber bei der Präsentation des Forschungsprojekts im Jüdischen Museum in Wien / Foto: Rainer Holzbauer
Auf den Spuren einer „versunkenen Welt“
Ende Februar wurde das Forschungsprojekt zur jüdischen Geschichte in der Buckligen Welt und im Wechselland abgeschlossen, und die Ergebnisse wurden dem Jüdischen Museum Wien überreicht. Dieses wird nun gemeinsam mit „toikoi“ eine Ausstellung gestalten, die zur Landesausstellung 2019 im neuen Museum für Zeitgeschichte in Bad Erlach präsentiert wird. Angedacht ist außerdem ein neues Buchprojekt. Einen ersten Einblick in die Ergebnisse der Forschung gibt es im Rahmen einer neuen Serie ab der nächsten Ausgabe exklusiv im Boten aus der Buckligen Welt.
Seit 15 Jahren ist Johann Hagenhofer in Pension, und seither beschäftigt er sich intensiv mit der Regionalgeschichte in der Buckligen Welt und im Wechselland. Nach dem mehrfach ausgezeichneten „Lebensspuren“-Buchprojekt in drei Bänden, das anhand von Einzelschicksalen das Leben der Menschen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg in eindrucksvollen Erzählungen beschreibt, war er nun federführend an einem weiteren Projekt beteiligt.
Historiker-Team
Für das Musem für Zeitgeschichte, das im Zuge der Landesausstellung 2019 in Bad Erlach eröffnet wird, hat Hagenhofer gemeinsam mit den Historikern Gert Dressel (Experte für Oral History), Werner Sulzgruber (Experte für die jüdische Geschichte rund um Wiener Neustadt) und vielen weiteren Historikern und Forschern das Leben von rund 200 Juden in der Buckligen Welt und im Wechselland rekonstruiert. In 26 Gemeinden, in denen es jüdische Bewohner gab, wurden gemeinsam mit ehrenamtlichen Heimatforschern Interviews und Videoaufnahmen von Zeitzeugen gesammelt sowie viele Fotos und Dokumente zusammengetragen. Dieses Material bildet künftig die Basis für die erste Ausstellung im Museum für Zeitgeschichte. Mittlerweile haben die Bauarbeiten begonnen, bis zum März 2019 soll das Projekt fertiggestellt werden.
Die Ergebnisse der Forschergruppe wurden von Danielle Spera, Leiterin des Jüdischen Museums Wien, und ihrem Team begeistert aufgenommen. Besonders interessant sei, dass erstmals von einem Team aus der Region das Leben von Juden auf dem Land untersucht worden sei. Bislang wurden jüdische Schicksale beinahe ausschließlich im städtischen Bereich erforscht.
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe aus der Buckligen Welt beleuchten dagegen Lebenswege wirtschaftlich armer Juden, die als Hausierer von Hof zu Hof zogen und ihre Waren anboten. Sie benutzten sogenannte „Judensteige“, um Mautstellen auszuweichen, und übernachteten bei „Judenbauern“, die ihnen Quartier und Schlafplätze bereitstellten. Daneben widmeten sich die Heimatforscher auch den niedergelassenen Händlern, wie der Familie Hacker, die in Bad Erlach bis zur Vertreibung einen Weinhandel bewirtschaftete.Auch Quellen zu den wenigen sehr wohlhabenden Familien, die in Bad Erlach und im Wechselland als Fabrikanten tätig waren, wurden ausgewertet.
„Ihr Projekt, die Schicksale der am Lande lebenden Juden zu erforschen, ist wirklich außergewöhnlich und bietet viele interessante Anknüpfungspunkte“, fasste Danielle Spera die Resultate der Präsentation zusammen. Nun werden die Forschungsergebnisse gesichtet, und ein Konzept für die erste Ausstellung im Museum für Zeitgeschichte in Bad Erlach wird erstellt.
Das Bild der Familie Blum aus Krumbach wurde von Rainer Holzbauer zur Verfügung gestellt und ist knapp vor der Vertreibung 1938 entstanden. Die Personen von links: 1. Reihe sitzend: Elsa, Alfred und Grete Blum; 2. Reihe sitzend: Hedwig und Leo Ulman aus Lackenbach (Eltern von Mira); 2. Reihe stehend: Fritz, Mira, David, Julius, Moritz, Max und Ernst Blum / Foto: Rainer Holzbauer
„Blinde Flecken“ der Geschichte
„Wenn wir als Kinder gefragt haben, was mit den jüdischen Familien passiert ist, da hieß es einfach: ‚Die sind fortgezogen.‘ Für mich waren viele Ergebnisse der Forschungsarbeit daher auch neu und umso interessanter“, so Johann Hagenhofer. Er ist sich sicher, dass ein solches Projekt vor 20 oder 30 Jahren nicht möglich gewesen wäre. „Das Thema war ein Tabu. Es ist heute sehr schwer, Zeitzeugen zu finden. Ich möchte mich daher bei unserem tollen Team von Historikern, Soziologen, Lehrern und Forschern bedanken, das so viel interessantes Material gefunden hat“, so Hagenhofer.
Sein Bild der Juden in der Region habe sich durch die Ergebnisse auch gewandelt. „Mein Bild von den jüdischen Familien in der Region war das der Kaufleute. Dass es aber auch ganz arme jüdische Hausierer und sehr reiche jüdische Industrielle gegeben hat, war auch für mich neu. Das war keine homogene Gruppe.“
So wurde beispielsweise in Bad Erlach eine Textilfabrik und in Trattenbach eine Holzschleiferei mit vielen Arbeitsplätzen betrieben. Eine besonders schillernde Persönlichkeit war etwa Baron Leopold Popper, der mit seiner Gattin, der berühmten Opernsängerin Maria Jeritza in St. Corona lebte. Um sich in der örtlichen Bevölkerung zu integrieren, war der Adelige sogar Teil der örtlichen Feuerwehr.
Verfolgung und Vertreibung
Der aktuelle Bote aus der Buckligen Welt erscheint fast genau 80 Jahre nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich und dem Beginn der Judenverfolgung, auch in unserer Region. „Unser Forschungsthema ist sehr aktuell. Das Thema Flucht betrifft nicht nur die Geschichte, sondern auch die Gegenwart“, so Hagenhofer. Wie schnell sich die Stimmung in den Gemeinden gegenüber den jüdischen Familien gewandelt hat, wird im Rahmen der Forschungsarbeit ebenfalls dokumentiert. In diesem Rahmen ist auch ein Brief eines Juden aus Krumbach aufgetaucht, der im Jahr 1998 auf einen Zeitzeugen-Aufruf reagiert hat. „Ich komme von einer anderen Welt, einer versunkenen Welt, einer Welt, die es nicht mehr gibt, von der alle Spuren ausgelöscht wurden und die nie wieder auferstehen wird. Eine Welt, in der Tradition und Religion stark verankert waren“, heißt es in dem Brief.
Insgesamt 200 Juden aus der Buckligen Welt und dem Wechselland, teilweise mit gewaltigem Einfluss, wurden ab 1938 vertrieben oder flüchteten. Damit eben nicht alle Spuren ausgelöscht werden, wurde das Forschungsprojekt ins Leben gerufen. In weiterer Folge ist nun auch ein Buchprojekt angedacht, in dem die Ergebnisse gesammelt werden und rechtzeitig zur Landesausstellung präsentiert werden sollen. Bis es so weit ist, begibt sich der „Bote“ gemeinsam mit den Forschern auf die Suche nach dieser „versunkenen Welt“. Ab der nächsten Ausgabe lesen sie über die Schicksale der jüdischen Familien in den Gemeinden der Region.
Baron Leopold Popper in St. Corona im Jahr 1928. Der Baron steht in der Mitte der 2. Reihe mit dem Trachtenjanker. Die dritte Dame von rechts in der ersten Reihe ist die Gattin des Barons, die berühmte Opernsängerin Maria Jeritza. Das Gruppenfoto entstand bei der Einweihung der Turmuhr, die der Baron der Gemeinde schenkte. / Foto: Hans Hantich